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Reformatoren und Bibelübersetzungen
Schmalkaldener Sonderausstellung kartiert Zusammenhänge

Welche Reformatoren gab es vor Martin Luther? Gab es vor Luthers Bibelübersetzung andere deutsche Übersetzungen? Im Jahre 2017 mit dem 500. Reformationsjubiläum erinnerte man sich insbesondere des Lebens und Wirkens von Martin Luther. Das war berechtigt und erfreulich. Dieses Hauptjubiläum weckte darüber hinaus vielerorts eine Wiederentdeckung von reformatorischen Bestrebungen oder Beziehungen, wo man nicht so leicht damit gerechnet hätte. So etwa in Mansfeld (Luthers Kindheitsort), Karlstadt am Main und Orlamünde (Luthers Doktorvater und späterer Gegner), Torgau (Residenz- und Beratungsort), Mühlberg/Elbe (verlorene Schlacht des Schmalkaldischen Bundes), Schwäbisch Hall (Reformator Württembergs, J. Brenz), Witmarsum (Menno Simons) und viele weitere. Jedoch: Haben diese wichtigen, feinen Mosaiksteine einen Überblick geschaffen? Eher nicht. Denn sie vermittelten eine vertikale Präsentation von örtlichen Reformationselementen.

Weit voneinander entfernt – gleiche Ergebnisse


Der Beginn des Johannes-Evangeliums nach John Wyclif

Einen horizontalen Blick auf die gesamten reformatorischen Strömungen in Europa vermittelt aktuell eine Sonderausstellung in Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden. Sie beschreibt Leben und Wirken von Reformatoren wie John Wyclif, Jan Hus, Savonarola. Jedoch nicht nur solche eines nationalen Zuschnitts sondern auch Petrus Valdes (> Waldenser), die Katharer oder Ulrich von Hutten. Es ist immer wieder erstaunlich, wie durch die Jahrhunderte überall in Europa Menschen auftauchten, die mit feinem Gespür den Lug und Trug der römischen Kirche entlarvten und die Unrechtmäßigkeiten zu beschreiben wussten. Menschen, die geradlinig blieben und sich nicht zu den kirchlichen Dieben und Machthungrigen gesellten. Kleine grün-rote Drehscheiben in Schaukästen zeigen überall auf, in welch verblüffendem Maße die Reformatoren zu den gleichen Ergebnissen kamen, auch wenn sie nichts voneinander gehört hatten. Ihre Forderungen waren Messe in der Landessprache, Bibelübersetzung in die Landessprache, Lieder für die Gemeinde, nur zwei Sakramente, kein Ämterkauf, keine Heiligenanbetung, und der Papst ist nicht das Oberhaupt der Kirche.



Manche parallelen Initiativen oder Kritiken wussten nicht voneinander. Martin Luther selbst las erst nach dem Leipziger Religionsgespräch Werke von Jan Hus und schrieb seinem Freund Spalatin erstaunt: „Wir sind alle Hussiten und wussten es nicht!“ Woraus auch hervorgeht, wie gut die römische Stasi es schaffte, unerwünschte Werke wenn nicht zu vernichten so doch geheim zu halten, dass sie nicht einmal mehr in Universitäten diskutiert werden konnten.

Andere kannten einander nur einseitig: John Wyclifs Werke gaben der Reformation in Böhmen entscheidende Impulse, und Jan Hus freute sich über ihn, aber Wyclif konnte nichts von Jan Hus wissen. Wyclifs Werke hingegen wurden zur Verurteilung Jan Hus‘ in Konstanz herangezogen, wiewohl Hus sie keineswegs vollständig übernommen hatte.

Ein Fanatiker und Psychopath – zwei friedliche Bewegungen in Frankreich

Während alle Reformatoren den Reichtum und die Gier der römischen Kirche geißelten, war es der Florentiner Savonarola, der die Kritik hierzu am weitesten trieb. Er propagierte ein asketisches Leben für alle und schaffte es dank seiner Rhetorik, die Bevölkerung zu überzeugen, dass sie alle wertvollen Gegenstände und Zierrat von zu Hause zerstörten oder auf den Marktplatz brachten, wo sie verbrannt wurden. So fanatisch zugespitzt trieben andere Reformatoren ihre Kritik nicht. Die Bewegung der Waldenser in Lyon und Südostfrankreich entstand in ganz persönlichem Rahmen. Man könnte sie einem freikirchlichen Hauskreis vergleichen. Sie erlaubten schon die Verkündigung auch durch Frauen und sie begannen, die Bibel ins Provenzalische zu übersetzen. Sie glaubten selbst, ganz auf dem Boden der Kirche zu stehen, bis ein Papst nach einigen Jahren von ihnen hörte und „Njet“ sagte.

Die Katharer sind strenggenommen keine christliche Gruppe. Sie werden heutzutage leicht dafür gehalten, weil die Franzosen es nicht besser wissen, und weil ihre markanten Fluchtburgen in Südfrankreich die Touristen so faszinieren, dass sie nicht näher nach der Theologie der Katharer fragen. Weswegen man sie aber nur bewundern kann, ist, dass sie ihren Grundsätzen gemäß in Armut lebten und die Bevölkerung seelsorgerlich betreuten, also genau das taten, was die römische Kirche nicht tat. Daher waren sie bei allen Leuten beliebten und wurden von ihnen geschützt.

Schritt für Schritt den Übersetzungen nach

Was charakterisiert jeweils eine Bibelübersetzung, wenn es alleine in Deutschland schon vor Martin Luther 14 Varianten von ihnen gab? Und das in Dialekten? Das kann keine Ausstellung zeigen. Es wären zu umfangreiche Textbeispiele mit Übertragungen und Erläuterungen erforderlich. Es wäre Sache eines Buches, und so eines fehlt uns noch! Die Sonderausstellung in Schmalkalden schafft das Mögliche: Sie gibt alle Daten steckbriefartig an, so dass man eine Ahnung bekommt und staunt, was so viele Übersetzer leisteten. So etwa werden Druckerpersönlichkeit, Zeit und Ort des Druckes, Größe der Bibel, Ausschmückung, Verbreitung, Neuauflagen und dazu einigen Abbildungen aufgeführt. Pro übersetzter Bibel eine Stellwand, so dass es ganz übersichtlich bleibt und man mühelos von 1 bis 14 der zeitlichen Folge nachspazieren kann.


Das Volks ließ sich seine Bibelübersetzungen nicht mehr nehmen

Auch mit diesen bescheidenen Mitteln gelingt es, das Faszinosum aufzuzeigen, nämlich dass die Menschen des 15. und 16. Jahrhunderts entgegen der behaupteten Lehre, trotz zunehmender Repressalien einer nervöser werdenden römischen Kirche, trotz Überwachung und Repressalien den Blick frei behielten, dass eine Übersetzung kein Frevel sondern etwas Gutes sei. Gottes Wort geht beim Übersetzen nicht kaputt! John Wyclif schrieb zu seiner Zeit voller Zorn: „Es ist eine gotteslästerliche Sache, die Schrift von den Laien zurückzuhalten!“ Die unbeirrte Art der Bibel-Hersteller ist so bewundernswert, weil die meisten der Versionen nach von Hand geschrieben werden musste. Erst die jüngsten von ihnen benutzten die neue von Gutenberg entwickelte Druckkunst.

Schmuck zur Zier und zum Schutz

Es ist auch wichtig, die Parade all dieser Übersetzungsversionen in Oberdeutsch oder Niederdeutsch auch in ihren schönen Darstellungen zu vergleichen – die Initialen, Farben der Typen, Miniaturen, Pflanzenornamente. „Es gibt kein schöneres Buch!“ merkte Altgermanist Professor Dr. J. Rathofer zur Gutenberg-Bibel an. Dieser ungemeine, zeitaufwendige Schmuck, der immer von mehreren Künstlern aufgebracht wurde, drückt mit Sicherheit die Ehrfurcht der Drucker, Übersetzer und Künstler vor ihrem Werk, der Bibel, aus. Aber mit dem ganzen Schmuck versuchten sie zugleich auch ihrem Projekt Autorität zu verleihen, so dass die römische Kirche ihre Bibeln gelten lassen würde – so wie ihre lateinischen Bibeln auch. Eine kluge Überlegung gegenüber einer dummen Abwehrhaltung.


Im letzten Saal der Sonderausstellung werden allerlei Kuriosa und ernste, besondere Bibelwerke gezeigt. Etwa die winzigen Bibelchen, die die Hugenotten hinter einem Spiegel oder im Haarknoten versteckten. Auch kleine Ausgaben für Soldaten im Kriege oder von Computertechnologie hergestellte Versionen, die so winzig sind, dass man zum Lesen wieder einen Computer benötigt, werden gezeigt. Das darf amüsieren. Aber es geht um mehr als das: Um ein ungebrochenes Bedürfnis nach Bibeln und ihrer Botschaft, und welche Wege heutzutage dabei beschritten werden.


Geistlicher und weltlicher Arm der Reformation

Der große Vorteil, diese Sonderausstellung in Schmalkalden sehen zu können, besteht darin, dass man in Nachbarsälen die Dauerausstellung zum Schmalkaldischen Bund sehen kann. Hier die Geisteselite von Theologen, Druckern, Übersetzern, Künstlern – dort der politische Arm der Reformation, der ihnen den Freiraum zu ihrem Schaffen ermöglichte. Beide kämpften mit ihren jeweiligen Mitteln an derselben Front – mit einer Beharrlichkeit und Zähigkeit, die man nur zutiefst bewundern kann. Beide Ausstellungen belegen einen Kernpunkt der Reformationszeit, der nicht immer deutlich wahrgenommen wird. Die Menschen jener Zeit spürten mit Gewissheit, dass die römische Kirche sie nach Strich und Faden betrog und hinterging, das war ihnen klar. Nur wussten sie nicht, wie man sich dessen erwehren konnte. Bis dann theologisch und geistlich brillante Führungsgestalten sich erhoben und ihnen die Wahrheit sagten – wie insbesondere Wyclif, Hus, Luther. Trotz aller berechtigter Enttäuschung von der römischen Kirche waren sie aber nicht von den Predigern oder den Schriften abzubringen, die ihnen die Wahrheit brachten. An denen hielten sie unbeirrt fest.

Wer ein Gespür für lebendige Geschichte und übernationale Strömungen hat, der sollte sich nicht nehmen lassen, im abgelegenen Landstädtchen Schmalkalden sich einen Einblick in ein Bedürfnis und eine Antwort von europäischer Tragweite schenken zu lassen.

Hamburg, im Februar 2024

A Martin Steffe

Urknall Luther - Reformatoren und Bibelübersetzungen vor Martin Luther. Täglich im Museumsrundgang zu besichtigen: Montag bis Sonntag 10 bis 17:30 Uhr (April bis Oktober); Dienstag bis Sonntag 10 bis 15:30 Uhr (November bis März).