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Glücklichsein lässt sich lernen

Durch Achtsamkeit aus dem Kreislauf des Leidens aussteigen

Das an sich schöne Wort "Achtsamkeit" klingt zunächst nach neuer Gefühligkeit oder Warmduschern. Tatsächlich verbirgt sich hinter dieser Übersetzung eines buddhistischen Begriffs eine Praxis, die an der Wurzel der meisten heutigen Probleme ansetzt. Wer eine besonders raffinierte Methode vermutet, kann getröstet werden. Es geht um eine einfache Praxis, die ebenso wirksam ist, wie sie mit dem Grundsätzlichen des menschlichen Lebens zu tun hat.

Am besten anschaulich wird dieses Angebot, wenn man sich erinnert, wie viele Menschen heutzutage wie in einem Hamsterrad unaufhörlich werkeln und auch nicht ausgesprochene Forderungen tief verinnerlicht haben. Aus einem Automatismus dieser Art, mit dem man alles abwickelt, entstehen leicht Gefühle des Ungenügens und dessen, das man gelebt wird anstatt zu leben. Das ist auch der Nährboden für Depressionen.

Achtsamkeit zielt nun auf eine Änderung der Einstellungen, der Qualität des Erlebens und Wahrnehmens. Auch die westliche Psychologie lehrt, dass psychische Leiden oft auf der eigenen Geisteshaltung beruhen. Wer die Disziplin und die Geduld für achtsames Handeln und Achtsamkeitsmeditation zu geben bereit ist, kann die verhängnisvolle zwanghafte Denkstruktur öffnen, Mitgefühl für sich und andere entwickeln und wieder die Fülle des Lebens erfahren. Kern der Methode ist, sich auf die konkrete Gegenwart zu richten und das, was sich in ihr zeigt, nicht zu richten oder zu bewerten. Man lernt, dem eigenen Körper wieder innezuwohnen, ihn nicht nur zu benutzen.

Gerade die Einsicht des Buddhismus, dass Leiden nicht vermieden werden kann führt zu der Praxis der Achtsamkeit, die es erlaubt, aus dem fruchtlosen Kreislauf in und um das Leiden auszusteigen.

Warum müssen wir das lernen? Da sind einerseits der heutige Arbeits- und Leistungsdruck. Viel mehr aber noch wirkt sich aus, das heute schon junge Menschen durch elektronische Geräte suggeriert bekommen, dass man mit einem Tastendruck fantastische Dinge tun kann – aber seelisch sind wir doch noch immer die einfachen Zweibeiner mit ihren Grundbedürfnissen auch der Seele.

Das kleine Buch der Fachärztin enthält mehr, als man seinem Umfange nach vermuten möchte: Erläuterungen, Anwendungsgebiete und Übungsanleitungen, und zu diesen wird auch eine CD mitgeliefert. Aus ihrer Klinikpraxis weiß sie beizusteuern, wie das Zusatzangebot der Achtsamkeit sich auf verschiedenen Krankheitsgebieten wie Depression, Sucht oder Angst auswirkt. Dazu ist ihr Stil dem Inhalt völlig angemessen. Sie schreibt einfach und unprätentiös, doch es entgeht einem nicht, dass in den einfachen Worten entscheidende Dinge gesagt sind. Manche Schilderungen wie etwa die der Depression lesen sich so, als hätte man vorher noch nie etwas zu dieser Krankheit gehört. Dabei bleibt Anderssen-Reuster bescheiden, lässt sogar "bewusst nicht achtsame" Phasen zu und ist weit von jeder Ausschließlichkeit, Missionarstum oder Rechthaberei entfernt. Wer dieses Buch liest, will es als Begleiter behalten.

A. Martin Steffe

Anderssen-Reuster, Ulrike: Achtsamkeit. Das Praxisbuch für mehr Gelassenheit und Mitgefühl. Stuttgart, 2013 (Thieme), 160 S., €19,99. ISBN 9783-8304-6650-5