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Four Wheel Drive als Omnibus.
Mit Landrover auf den heiligen Berg der Katalanen


Wenn man die Autobahn „La Catalane” (Richtung Barcelona) bei Perpignan in Richtung Südosten (Andorra) verläßt, tritt linkerhand das breite Massiv des Pic du Canigou immer dräuender aus dem Dunst hervor. Der Canigou ist der heilige Berg der Katalanen auf französischer ebenso wie spanischer Seite der Pyrenäen. Auf ihm wird in jedem Juni das Johannisfeuer zuerst entzündet, dann blitzen sie ringsum auf allen Höhen der östlichen Pyrenäen auf. Bei klarem Winterwetter kann man von seinen 2784m Höhe bis Marseille sehen. Den Hauptstädtern mag wichtiger sein, daß der Berg auf dem gleichen Längengrad wie Paris liegt.

Die Freunde von Geländewagen brauchen auch in dieser Gegend, die von landschaftlicher Abwechslung ebenso wie von starker Abwanderung der jungen Bevölkerung und einem stark saisonalen Betrieb gekennzeichnet ist, nicht auf ihr gewohntes Fahrvergnügen zu verzichten. In dem kleinen Kurort Vernet-les-Bains betreibt Monsieur Louis Villaceque neben einer Automobilvertretung, Kleinbusunternehmen und einem Taxiruf Ausflüge mit Geländewagen vor allem auf den Canigou, aber auch zu anderen Zielen in der Umgebung.

Neun Landrover verschiedener Längen und Baujahre und sieben Jeeps amerikanischen Typs stehen weiß wie die Schimmel und tatendurstig in der langen Garage. Seit 1928 bietet der Familienbetrieb den Service zum besseren Kennenlernen der Umgebung an. Das war die Zeit, in der besonders viele Briten die Schönheit der Pyrenäen für sich entdeckt hatten, unter ihnen beispielsweise Meisterarchitekt Charles Rennie Mackintosh. Der Gründer, Vater des jetzigen Inhabers Louis, bediente sich dabei aber noch der Citroenmodelle B12 und B14. Die Idee selbst ist nicht so überraschend, wenn man erfährt, daß bis dahin ein Canigou-Service mit 1 MS, nämlich Maultieren, bestand und von den zahlreichen englischen Kurgästen auch genutzt wurde. Möglicherweise stammte die Idee, heutzutage Landrover zu benutzen, daher, daß ihnen die Villaceques auf diese Weise das nötige koloniale Heimatgefühl vermitteln wollten.

In der Saison von Juni bis Ende September ist heute jedes Fahrzeug 2-3 Mal am Tage im Dienst. Alle Expeditionsfreudigen müssen dabei in Kauf nehmen, mit anderen Leuten zusammen zu fahren; denn es werden nur volle Fahrzeuge losgeschickt (Landrover 9, Jeep 7 Personen). Von denjenigen, die sich anmelden, bleiben über 90% den Terminen treu, so daß bisher noch keine Anmeldegebühren erhoben werden. Alle Fahrzeuge haben Benzinmotoren, damit auch vor Erreichen des Chalethotels des Cortalets auf 2.200 m Höhe bei dieser Last ausreichend Kraft zur Verfügung steht. Außerdem schnuppern sich Benzinschwaden weniger rasch und unangenehm als Dieselwolken, und der niedrigere Lärmpegel ist den Passagieren angenehm. Doch von dem teuren Saft fließen bei der Bergtour etwa 25l/100 km durch die betagten Maschinen.

Für den Einsatz benötigt Louis Villaceque in der Saison 3-4 Fahrer. Die meisten Fahrten bewältigen sein Sohn und dessen Freund, weitere übernehmen ein pensionierter Taxifahrer und andere erfahrene Chauffeure. Die Reifen der Serpentinenrenner überstehen zwei Saisonen, dann schlagen auch sie erneut zu Buche. Außerhalb der Saison selbst werden die blau beschilderten Fahrzeuge zwischenabgemeldet so wie hierzulande die Motorräder.

Während die Busse von Monsieur Villaceque nach Spanien, Andorra und nach Roussillon fahren, klettern die Jeeps zu der Abtei St.Martin du Canigou hinauf, die gleich einem Adlerhorst auf einer Felsnase vor dem Massiv bis ins Tal hinüberragt. Die engen Serpentinen zu diesem Ausflugspunkt, den eine neue Familienkommunität unter Leitung eines Benediktinerpaters betreibt, bewältigen nur die Jeeps. Die Landrover fahren zum Chalet hinauf, nach Mariailles und auf andere Bergziele.

Wir machten die Bekanntschaft dieses Urlaubsvergnügens während zweier Wanderwochen von „Wikinger-Reisen” in den Pyrenäen. Die frühstückenden Hotelgäste staunten nicht schlecht, als plötzlich die brummigen Bergschimmel unter den großen Bäumen des Hotels auftauchten und wir zur Abwechslung einmal nicht den Bus, sondern die Landrover bestiegen. Abends kam auch prompt ein Englishman herbei und erkundigte sich, was man denn mit den ihm vertrauten Packeseln hierzulande tun könne.

Selten sah ich eine Gruppe von 23 Erwachsenen so ausgiebig gickeln und gackeln. In jeder Kurve strahlende Gesichter nach vorne zu den anführenden Wagen oder zurück zum eingestaubten Nachhutwagen. Wiewohl Geländewagen doch wahrhaftig keine Seltenheit mehr sind, weder auf Düsseldorfs Kö noch Münchens Leopoldstraße, so wurde diese Fahrt doch zu einem außergewöhnlichen Vergnügen.

Die Gruppe hatte sich bereits als überdurchschnittlich wanderfest erwiesen, auch auf den höchsten Berg der Pyrenäen, den Pic Carlit bei Mont-Louis, der 2991 m hoch ist. Doch das langgezogene Massiv des Canigou erfordert einen Tag alleine zum Erreichen des Gipfels, und für den sechsstündigen Abstieg in einem fort bedanken sich die Knie. Dank der Landrover, die die ersten zwei Drittel überwinden, haben daher auch wanderschwächere Leute die Möglichkeit, den wolkenumspielten und lange bis in den Mai verschneiten Canigou von oben zu beschauen.

Über Filliols erreichen wir in etwa 850 m Höhe den letzten Campingplatz. Nicht lange danach: Atempause, Geländegang einschalten. Der älteste Landrover fährt vorweg, weil er wegen seines geringeren Lenkeinschlages bei den Serpentinen ein Stück zurückrollen und neu ansetzen muß. Ist halt für weite afrikanische Savannen gebaut worden. Stückweise ist der Weg beschottert, meistens aber fahren wir auf der natürlichen, etwas planierten Felsoberfläche. Plötzlich rechtsschwenk, marsch. Ein großer Bruder unserer Landrover, ein grüner Range Rover, kommt von oben herab, hinter ihm, auf winzigen Rädchen, hops ein Anhängerchen, das aus Transplantaten vom Heck einer Renault-Fourgonette zusammengeschweißt ist. „Das ist der Patron des Chalets”, erklärt Fahrer Villaceque Junior. Kein Wunder, daß der so strahlte - bei so viel Kundschaft! Aber auch ein mühsamer Weg, täglich frische Milch zu holen.

Auf 1.200 m Höhe halten wir an einer Kurve mit Aussicht auf das ganze Conflent („Zusammenfluß”) und die Abteien St.Martin und St.Michel. „Die vorderen zwei sind unterwegs gealtert”, merkt ein Reise
teilnehmer zum dritten Landrover an, der jetzt aufgeholt hat. Wir merken jetzt erst, daß ein älteres Ehepaar die von unsere Gruppe frei bleibenden zwei Plätze ergänzt hatte.

Während wir uns bereits an den Rhythmus der Serpentinen gewöhnt haben, staunen wir darüber, daß auf so steilen Hängen mit so vielen Graten überhaupt eine Straße entlangführen kann. Man sieht kaum mehr als 50 Meter weit und ist jedes Mal überrascht, wie es weitergeht. Dazu begleitet uns das stets wechselnde Gesicht des Pyrenäenberges. Mal zeigt er sich mit kurzem Buschwerk südlich-provencalisch, dann, auf Nordseiten, mit Nadelbäumen bewachsen und schließlich, kurz vor Erreichen des Chalets, mit Krüppelkiefern und alpinen Blumen. Bei alledem scheint die Straße in dem aufregenden Gelände, das man eher in einem anderen Erdteil vermuten würde, nur selten trassiert worden zu sein, sondern einem alten, natürlichen Pfad zu folgen. Nur der Tunnel durch einen besonders eindrucksvollen Grat freilich ist Menschenwerk.

Von einer vierstündigen Runde um den Gipfel zurückgekehrt, finden wir das Chalet und die Landrover unter den krummen Kiefern in Nebel gehüllt vor. Das schlanke Jungvolk auf den Mountainbikes ist zurückgekehrt und strebt den Zelten zu. Wir gönnen uns einen Kaffee, der wegen des weichen Wassers hervorragend schmeckt. Gewöhnlich sieht die Canigoufahrt, die eineinhalb Stunden dauert, vor, daß man nach Ankunft um 10 Uhr drei Stunden Zeit zum Wandern hat und bis zur Rückkehr um 15.30 Uhr zweieinhalb Stunden für eine Mahlzeit (wir sind in Frankreich).

Doch als erfahrene Wanderer sind wir Selbstversorger, und die Fahrer freuen sich, daß wir früher wieder zurückfahren. Die Wartezeit verbringen sie mit Pilzesammeln oder Plaudereien in dem etwas tiefer liegenden Refuge de Cortalet. Der ganze Spaß kostet hin und zurück 150 FF, bei Gruppen auch weniger.Auf der Rückfahrt fällt der Blick naturgemäß mehr bergab und in die Weite, und wir staunen noch mehr über die Felsformationen, und wie sich der Weg an den extrem steilen Hängen und um die spitzen Felsgalerien schlängelt.

Dennoch ist genug Platz, daß uns ein spanischer (der Fahrer sagt: katalanischer) 450er Benz überholt, sobald unsere Experten eine breite Stelle finden. Anders ein bergauf kommender Katalane in einem Peugeot: Mit dem vollbeladenen Wagen traut er sich nicht, rückwärts zu fahren oder nahe genug an die Seite. Immer wieder muß ein Beifahrer ihm winkend helfen und beruhigen, daß der Wagen nicht aufsetzen wird. Allerdings, Bodenfreiheit macht den Geländewagen hier zum König.

Während ein gewöhnlicher Pkw genügend Leistung hat, um stellenweise auch im dritten Gang zum Chalet hochzufahren (wir fuhren meistens bis in den dritten Gang), stößt er eindeutig an seine Grenze, wenn es um Beweglichkeit dank Bodenfreiheit geht und langsames Manövrieren. Der verzweifelte Katalane gibt höllisch Gas und minimal Kupplung. Nach einer Viertelstunde ist auch das überstanden.

Die Fahrer haben ihre Freude an der lebhaften und fröhlichen Gruppe junger Menschen. Sie möchten uns alles zeigen und fragen bei jeder dritten Kurve, ob sie zum Fotografieren halten sollen. Bei einer Eisengrube sage ich nicht nein. Wo soll hier schon eine Eisengrube sein? Wir traben zwanzig Meter auf dem leitersteilen Gelände hinauf, dann liegt vor uns ein großes Loch mit einem waagerechten Schacht, aus dem das Erz nur so quillt.

In der Tat waren die oberflächennahen Schichten mit 30%igem Eisenerz so massiv, daß sie Kompaßnadeln in Flugzeugen irritierten und nicht wenige Maschinen abstürzen ließen. Daher erklärte sich auch auf einmal, wieso der populäre Canigou nicht von Rundflügen umsummt wird. Der Abtransport des Eisenerzes muß allerdings so mühsam gewesen sein, daß sich der Abbau für die vielen Flugzeug- und Waffenfabriken am Fuße der Pyrenäen nur während es zweiten Weltkrieges lohnte. Die Reichswehr war allerdings auch hier aktiv. Eine Gedenktafel am Chalet erinnert daran, daß es als Zufluchtsort für die Partisanen der Résistance 1944 von den Nazis abgebrannt worden war. Die Geländewagenfahrt bringt einen also nicht nur an einen wunderschönen sondern auch geschichtsträchtigen Ort.