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Goethes Wohnung in Rom ist heute ein Museum

Eine deutsche Insel in Rom: Goethes Wohnung in Rom ist heute sein Museum

Von Frankfurt oder Prag benötigt ein Flugzeug heute etwa zwei Stunden nach Rom. Johann Wolfgang von Goethe benötigte im Jahre 1786 sechsundfünfzig Tage für die rund 1.500 km weite Postkutschfahrt ab Karlsbad.

Am 3. September verließ der Minister heimlich den Kurort, allerdings nicht ohne lange und umfangreich mit den engsten Vertrauten alles Nötige für die Verwaltung geregelt und Vertreter für die einzelnen Bereiche benannt zu haben.

Denn Goethe, examinierter Jurist, hatte sich in Weimar in wachsendem Maße für das kleine Land seines Freundes, des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar, und seine Bevölkerung engagiert. Schon 1777, kurz nach seiner Berufung nach Weimar, stand Goethe einer Bergwerkskommission vor. Dazu kam 1779 die Wegebaudirektion, 1782 übernahm Goethe die Leitung des Kabinetts und 1784 die Ilmenauer Steuerkommission. Auch während der DDR-Zeit kamen die öffentlichen Stellen nicht umhin, Goethes engagierten Einsatz für das Wohl des Volkes anzuerkennen.

„Nordischer Flüchtling”

Im Jahr seines Rom-Ausflugs war Goethe 37 Jahre alt. Er fühlte sich bedrängt durch den Gedanken, daß seine ganze Schaffenskraft von seiner Tätigkeit als Minister aufgebraucht wurde, während er doch gerne als Schauspieler, Schriftsteller, Maler und Naturforscher aktiv sein wollte. Was sollte mit all seinen Neigungen und seinen Begabungen geschehen? Goethe mochte sich das um so quälender gefragt haben, als er mit seinem Lebensalter eine Krise erreichte - wir nennen es midlife-crisis. Mit einer gewissen Verzweiflung also machte er sich auf den Weg, noch ohne die Erlaubnis seines Chefs dazu erbeten zu haben. Er bekam sie nachträglich nach einem innig um Verständnis bittenden Brief vom 18. September 1787, noch unterwegs aus Verona.

Nach Italien und Rom - das hatte Goethe schon von Jugend auf beschäftigt. Sein Vater war schon 1739 nach Italien gereist und hatte seinen Bericht in Buchform und sogar auf Italienisch veröffentlicht (erschienen 1740). Bei seinen Wanderungen auf den drei Reisen in die Schweiz stand er oft auf Gipfeln und sehnte sich danach, auf der anderen Seite der Berge weiter zu reisen.

„Alle Träume meiner Jugend sehe ich nun verwirklicht”

Nun also war es so weit. Am 29. Oktober kam Goethe in Rom an. „Vor allem muß ich Ihnen sagen, liebe Mutter, daß ich glücklich und gesund hier angelangt bin.”, schreibt der Bub seiner Mama im November nach Ankunft. Schon 13 Tage später schreibt dieses Frankfurter Original zurück: „Lieber Sohn! Eine Erscheinung aus der Unterwelt hätte mich nicht mehr in Verwunderung setzen können als dein Brief aus Rom - Jubelieren hätte ich vor Freude mögen daß der Wunsch der von frühester Jugend an in deiner Seele lag, nun in Erfüllung gegangen ist!” Nach ein paar Tagen im Gasthaus, inkognito unter der Angabe „Filippo Miller, tedesco, pittore 32 (anni)”, zog er zu Freunden aus Deutschland in die von ihnen angemietete Wohnung. Das sind die Räume an der Via del Corso, einer der Hauptstraßen Roms, die der Tourist heute wieder besichtigen kann. „Das Haus liegt am Corso, keine 300 Schritte von der Porta del Popolo”, schrieb Goethe den Freunden nach Hause. Nicht weit also von der Piazza del Popolo, am nördlichen Ende des Corso, grüßen große rote Fahnen von der Wohnung in einem Eckhaus herüber. Das ist auch nicht weit vom Park der Villa Borghese, in der Goethes Denkmal an der Viale Goethe steht. Mit Denkmälern in diesem Park wurden alle Persönlichkeiten geehrt, die sich um Rom verdient machten. Und auf dem Rückweg von dort kann man über die Spanische Treppe wieder zum belebten Corso hinuntergehen.

Die Maler Wilhelm Heinrich Tischbein, mit dem Goethe schon seit 1781 korrespondierte und dem er ein Stipendium verschafft hatte, Friedrich Bury aus Hanau und Johann Georg Schütz aus Frankfurt wohnten zu Studienzwecken schon einige Zeit zusammen. Das Wohnen in Rom war schon während der Antike teuer. So manche Römer konnten sich ihre Wohnung nur durch Untervermietung leisten. So ging es auch dem Kutscherehepaar Collina, das die jungen Männer aus Deutschland beherbergte und sich prächtig mit ihnen verstand und rührend versorgte, auch wenn sie abends manchmal ein wenig über die Stränge geschlagen haben mögen. Die Wohnung war nicht beheizbar. Tischbein räumte von seinen zwei Zimmern ein kleines Nebenzimmer für den Freund aus Frankfurt, das den Vorteil hatte, vom Treppenhaus direkt zugänglich zu sein. Die Anonymität der Großstadt kam Goethes Empfinden und Schaffenskraft entgegen.

Ein Kleinod römischer Baugeschichte

Das Haus Via del Corso 18 war schon immer im Besitz prominenter Familien, die Väter meistens Juristen. Ursprünglich bestand es aus drei getrennten Häusern und wurde später zu einem zusammengefügt. Zuletzt gehörte es der Diözese Civita Castellana. Von ihr erwarb es der Arbeitskreis selbständiger Kulturinstitute AsKi in Bonn im Jahre 1990. Gegenüber dem Goethe-Museum liegt noch immer der Palazzo Rondanini, in dem Goethe das berühmte Medusenhaupt bewunderte, das er sich in Gips nachbilden ließ und das bis heute in seinem Haus am Frauenplan in Weimar anzuschauen ist. Immerhin diente der Palazzo Goethes Anschrift in Rom: „Ich bitte diejenigen, die mich lieben und mir wohlwollen mir ein Wort in die ferne bald zu sagen, und dem Briefe an mich, ... noch einem Umschlag zu geben mit der Adresse Al Sigr. Tischbein, Pittore Tedesco al Corso, incontro del Palazzo Rondanini Roma”. Aus den Fenstern an der Südseite des Hauses ist nurmehr ein Teil des großen Gartens des 18. Jahrhundert zu sehen, wie ihn damals Goethe auf der Innenseite des Eckgebäudes genießen konnte.

Ab 1982 schon liefen bauhistorische Untersuchungen. Eigentlich, so plante der Arbeitskreis, sollte die Wohnung zum 200. Jahrestag von Goethes Ankunft in Rom wiederhergerichtet sein. Doch dieser schöne Plan stieß dann auf erhebliche Bauprobleme, die vor allem durch die verschiedenartigen benutzten Materialien und die spätere Zusammenfügung der drei Häuser bedingt waren. Mit Zementeinspritzungen, Einziehung von Baustahlmatten und anderen Maßnahmen mußte das Haus erst einmal wieder haltbar und stabil gemacht werden. Auch die Decken waren schlecht. Sie mußten mit Stahlträgern aufgefangen werden, aber man konnte das alte Material wiedereinsetzen. Bei dem ganzen Aufwand stieß man unter jüngeren, abgehängten Decken auch auf die ursprünglichen Holzdecken. Ihre Bemalung wurde restauriert, und so beherbergt das Goethe-Museum heute ein künstlerisches Kleinod, das für die ganze römische Baugeschichte von Bedeutung ist, nicht nur im Hinblick auf Goethes frühere studentische Wohngemeinschaft. Mehrere Putzarten wurden getestet. Ein Anstrich von Kalk und Travertin kam dem historischen Eindruck am nächsten.

Auch die Fußböden waren verschiedener Art.
Der Boden des 18 Jahrhunderts war nicht erhalten.
Mit den heutigen Terrakotta-Fliesen richtete man sich
in Material und Auslegemuster nach einem Bild des Malers Fischbeins, das Goethe von hinten am Fenster zeigt, wie er den römischen Karneval beobachtet.
Auch die wiedergefundenen Türinschriften, wichtig für die Klärung der früheren Besitzergenerationen, wurden restauriert.

Neu hinzu kamen eine geräuschlos arbeitende Klima- und Lüftungsanlage und Isolier- und UV-Schutzglas.
Auf diese Weise kann die Etage jede Art von neueren oder alten Gegenständen im Rahmen von Wechselausstellungen zeigen. Es gibt auch eine Bibliothek und eine kleine Dauerausstellung. Sie schließt eine Kopie des berühmten Gemäldes des Malers Tischbein von Goethe ein, das den Dichter im Reisemantel in der Campagna zeigt, und das bis hin zu Andy Warhol immer wieder Menschen beschäftigte.

„Rom ist doch der einzige Ort in der Welt für den Künstler und ich bin doch einmal nichts anderes”

Goethes beinahe zweijähriger Aufenthalt in Italien war mit intensiven Studien gefüllt. Schon vom frühen Morgen an war er mit der Redaktion eigener Schriften, der Lektüre von wichtigen Werken zur Kunst und zur Antike befaßt. Nicht alleine, weil der Mann für jede Beschäftigung so aufgeschlossen war, sondern weil er sich auf dem Wege über seine Studien auch darüber klar zu werden hoffte, ob er denn lieber Maler oder Schriftsteller werden wollte. So nahm Goethe, wenn er nicht an bereits begonnenen und lange liegengebliebenen Dramen oder Essays schrieb, bei seinen Freunden Mal- und Zeichenunterricht. Die römischen Ruinen und Gebäude boten reichlich Stoff für Übungen. Allerdings konnte Goethe das Forum Romanum, so wie wir es heute kennen, noch nicht sehen. Es wurde erst ab 1803 ausgegraben. Über die drei Malerfreunde bekam Goethe Kontakt zu weiteren Künstlern in Rom wie dem Dichter Karl Philipp Moritz, den Goethe seinen „jüngeren Bruder” nannte, dem Schweizer Kupferstecher Johann Heinrich Lips und den Kunsttheoretikern Friedrich Reiffenstein und Johann Heinrich Meyer.

Die kreativen jungen Leute trieben emsig ihre Studien, Übungen und Gespräche. „Wir gehen fleißig hin und wieder, ich mache mir die Pläne des alten und neuen Roms bekannt, betrachte die Ruinen, die Gebäude, besuche ein und die andere Villa, die größten Merkwürdigkeiten werden ganz langsam behandelt, ich tue nur die Augen auf und seh’ und geh’ und komme wieder, denn man kann sich nur in Rom auf Rom vorbereiten.” Auch traf Goethe sich regelmäßig mit der berühmten Malerin Angelika Kauffmann aus Chur und besprach mit ihr Fragen der bildenden Kunst. „Sie hat ein unglaubliches und als Weib wirklich ungeheures Talent.” Sie malte, angeregt durch Goethes Gespräche über den Sinn der Farben, ein Bild ohne die Farbe blau - so wie es ein Farbenblinder, der Akyanobleps, wohl sehen würde. Mit einem anderen Frankfurter Bekannten, dem Komponisten Philipp Christoph Kayser, inzwischen Dirigent in Zürich, besprach Goethe Fragen der Bühnenmusik; denn Kaiser sollte Goethes Schauspiele vertonen. Allerdings wurde ihm in Rom bewußt, daß Kayser sich mehr für Kirchenmusik interessierte. Doch was Kayser ihm zur Musik erläuterte, veranlaßte Goethe schon nach wenigen Wochen, im November 1787 zu der Notiz in seinem Tagebuch, daß Kayser seine Liebe zur Musik „erhöht und erweitert” habe. Den Ansätzen seiner Farbtheorie stellte Goethe dann eine entsprechende Tonlehre gegenüber. Angeregt durch die Villen und Schriften des berühmten Baumeisters Palladio befaßte sich Goethe auch mit Grundsätzen der Antike und der Architektur

„In einer Art von trunkner Selbstvergessenheit”

Von Rom aus reiste Goethe ab dem Frühjahr 1787 nach Neapel und Sizilien. Bis Neapel, wohin auch Goethes Vater auf seiner Reise gekommen war, begleitete ihn Tischbein, „ein köstlich guter Mensch”. Die Stadt am Meer begeisterte Goethe. „Gegen die hiesige freie Lage kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, übelplaciertes Kloster vor.” Ab Neapel setzte er die Reise nach Sizilien mit dem Landschaftsmaler Christoph Heinrich Kniep fort, mit dem er zu Pferde die ganze Insel überquerte. „Daß ich Sizilien gesehen habe, ist mir ein unzerstörlicher Schatz auf mein ganzes Leben”, schreibt Goethe dem Herzog. „Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem.”

Auf dieser Reise widmete sich der Vielseitige besonders der Farbenlehre und der Entwicklung der Pflanzen. Mögen darin auch Fehler oder Fehlschlüsse enthalten sein. Was Goethe damals zu Farben, Physik und Pflanzenlehre dachte war so klug, daß der Bauhäusler Johannes Itten und die Anthroposophen später seine Farblehre aufgriffen, und Charles Darwin ebenso wie der französische Insektenforscher Henri Fabre oder der schwedische Botaniker Carl von Linné waren mit Goethes Überlegungen vollständig vertraut und behandelten sie in ihren Werken.

„Ich war in Italien sehr glücklich”

Von seinen zwei Jahren kehrte Goethe am 18. Juni 1788 wehmütig, aber gestärkt in seine Weimarer Arbeit zurück. Unbehelligt und unbeschadet - wenngleich die Schärgen der österreichisch-ungarischen Monarchie zusammen mit geeigneten halbseidenen Leuten der Kirche ihm kleinlich nach Stasi-Art nachstellten, ihn beschatteten, Siegel fälschten und seine Post abfingen. Ein Protestant, frankfurterischer Ur-Republikaner und noch dazu hoher politischer Beamter in Rom - das ging über das Vorstellungsvermögen dieser Art von Leuten hinaus. Sie konnten sich dabei nur etwas wie Spionageabsichten denken.

Goethes eigener Bericht „Reise nach Italien” erschien zwar erst 1829, vier Jahre vor seinem Tode. Nur das Kapitel „Das römische Carneval” kam schon 1789 heraus. Es war schon nach wenigen Wochen vergriffen, so daß nicht einmal Goethe selbst ein Exemplar verblieb. Aber seine in Italien gewonnenen künstlerischen und naturwissenschaftlichen Eindrücke durchdrangen alle seine weiteren Gedichte, Romane, Aufsätze oder Dramen. Die „Römischen Elegien” waren sein erstes Werk nach Rom und erregten gleich Aufsehen wegen der erotischen Anspielungen. Entscheidend war die Änderung, daß Goethe von da an hauptsächlich als Künstler und Naturwissenschaftler tätig blieb: „Ich darf wohl sagen: ich habe mich in dieser anderthalbjährigen Einsamkeit wiedergefunden; aber als was? - Als Künstler!” schreibt Goethe dem Herzog. So gelang ihm der lange gehegte Wunsch, bis zu seinem 40. Geburtstag die erste Gesamtausgabe seiner Werke herausgeben zu können - damals acht Bände. „Dieses Summa Summarum meines Lebens giebt mir Muth und Freude, wieder ein neues Blatt zu öffnen”, schreibt Goethe dem Herzog, seine Rückkehr nach Weimar ankündigend.

Jedoch eine wahre Reiseflut der Deutschen nach Italien war schon vorher durch Goethes Beispiel ausgelöst worden und führte zu einer völlig anderen Wahrnehmung Italiens, als bis dahin üblich gewesen war. So fuhr auch die Herzogin selbst schon 1789/90 nach Rom. Der Sohn von Goethes Vermieterehepaar, Filippo, wurde der örtliche Führer der Herzogin. Goethe selbst erhielt die Ehre, die Herzogin am Ende ihrer Reise aus Venedig abzuholen.