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Das Haus, das auf Darmstadts Mathildenhöhe fehlt


Glasgow bereichert das Mackintosh-Erbe um einen Nachbau

Im Jahre 1901 schrieb die deutsche Architekturzeitschrift "Deutsche Kunst und Dekoration" einen internationalen Wettbewerb zur Gestaltung eines „großzügigen Hauses eines Kunstfreundes in modernem Stil“ aus. Dadurch sollte eine Abkehr vom düsteren viktorianischen oder wilhelminischen Stil ermutigt werden.

Unter den Bewerbern aus dem Ausland war auch der Schotte Charles Rennie Mackintosh. Er reichte einen Entwurf ein, den er zusammen mit seiner früheren beruflichen Partnerin und nunmehrigen Ehefrau Margaret Macdonald gestaltet hatte. Nur leider traf der Entwurf der beiden mittlerweile erfahrenen Architekten und Gestalter zu spät ein, so dass er im Wettbewerb selbst nicht mehr berücksichtigt wurde. Das schien aber dem Erfolg und der Anerkennung keinen Abbruch zu tun. Der Entwurf erregte vielmehr so viel Aufsehen, dass er einen Sonderpreis erhielt und in einer Sonderausgabe veröffentlicht wurde.

Unter Fachleuten wurde der Entwurf schon immer bewundert. Laien aber fehlte bislang die Anschauung dieses Objekts. Während das Hill House in Helensburgh, Schulen und Kirchen in Glasgow selbst und durch ausländische Besucher wieder neu beachtet wurden, als Glasgow Kulturhauptstadt Europas wurde, fehlte ein Bild des Hauses eines Kunstliebhabers, an Art Lover’s House.

Auf Initiative des Architekten und Mackintosh-Bewunderers Graham Roxburgh begann ein Verein ab 1989 damit, das Haus zu bauen. Die Herstellung nach den Entwürfen war jedoch so aufwendig, dass dem Verein die Finanz- und Arbeitskraft ausgingen. Hier sprangen die Stadt Glasgow und die Glasgow School of Art ein und setzten die Arbeiten fort, so dass die Bauarbeiten 1995 abgeschlossen, und das Haus 1996 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.

Historisches und modernes Kunsthandwerk verschmelzen

Denn die in Wiederherstellung und Restauration erfahrenen Briten leisten sich an solchen Stellen Gründlichkeit. Mit einer oberflächlichen Nachgestaltung war es nicht getan. Zwar konnte man auf einige Originalarbeiten Mackintoshs als Anschauungsmaterial zurückgreifen. Die Entwürfe ließen jedoch nicht immer genau erkennen, um welches Material, welche Mittel es sich in diesem speziellen Falle handelte.
Man war also darauf angewiesen, in weiteren Quellen eingehend zu forschen, verschiedene Techniken auszuprobieren und ihre Wirkung erst anzuschauen, ehe sie angewandt wurden. Das galt besonders für die Gesso-Tafelbilder „Das Leben der Rose“ im Esszimmer. Fachleute, die sich für die Restaurierungstechniken interessieren, können die Verfahren im Computerraum des Hauses nachvollziehen.

Das Ergebnis ist so überzeugend, als handele es sich beim Art Lover’s House um ein Originalwerk Mackintosh’s und Macdonald’s. Im Gegensatz zu anderen Werken Mackintoshs hat man hier auch Gelegenheit, die Atmosphäre während eines Konzertes und bei einem Essen zu genießen oder auch zu persönlichen Terminen außerhalb dieser Veranstaltungsreihe. Das Haus liegt im Bellahouston Park am Südufer des Clyde, also im südwestlichen Zentrum, auf den Fundamenten eines früheren Stadtpalastes. Von diesem steht nur noch das frühere Gartentor. Gäste, die heute zum Art Lover’s House kommen, haben dank der schönen Platzierung den Eindruck, als käme man in ein Privathaus.


Triumph der Kunst

Der Hauptsaal ist der beherrschende Raum, weil von ihm aus alle anderen erreichbar sind. Wenn er heute eine Anzahl von gedeckten Tischen ausweist, so entspricht das den Vorgaben des Wettbewerbs, da dieser vorgibt, dass der Raum für Empfänge nutzbar sein sollte. Geradezu winzig im Vergleich zum Hauptsaal ist der Übergang zum weißen Saal, in dem auch der Flügel passend einmöbliert ist. Hier auf der Südseite mit den gewölbten Fenstern entsteht eine unvergleichlich andere Atmosphäre als im dunkel getäfelten Kaminzimmer. Vom Balkon der Südseite aus lässt sich auch die in Stein gehauene Dekoration der Südwand bestaunen.

Vom Flur aus ist das Ovale Zimmer erreichbar, das Damenzimmer. Bei Mackintosh unverkennbar, weil das Oval sein Symbol der Weiblichkeit ist. Für dieses Zimmer waren keine Details hinterlassen, so dass es nach anderen Mackintosh-Innenausstattungen geschaffen wurde.

In jeder Epoche um die Jahrhundertwende zogen sich die Damen nach dem gemeinsamen Essen hierher zurück. Traditionell heißt ein solcher Raum daher auch „Drawing Room“, wenngleich es vollständiger „Withdrawing Room“ (Zurückziehe-Zimmer) heißen müsste.

Glasgow ist zu beglückwünschen, dass es mit diesem Haus das Sternbild der Mackintosh-Werke vervollständigte. Die Stadt wird dadurch noch interessanter und verdeutlicht mehr denn irgendeine andere europäische Stadt, wie viel die Kunst für das neue Leben einer Stadt tun kann, wenn ihre traditionellen Einkünfte (Bergbau, Schiffbau, Handel) unwiederbringlich verloren sind.

A. Martin Steffe