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"Die Wahrheit wird siegen!"
Jan Hus, der Gentleman unter den Reformatoren


Autor vor dem Hus-Denkmal in seinem Geburtsort Husinec

Das Geburtshaus des Jan Hus im südböhmischen Kleinstädtchen Husinec ist ein stattlicher Bau mit Satteldach und breitem Tor für Fuhrwerke. Man erschrickt aber fast, wenn man die zwei niedrigen Zimmerchen sieht, in denen die Familie Hus wohnte und in deren einem er geboren wurde. Sein Vater war nicht der Bauer, sondern er war ein Fuhrmann. Vielleicht übernahm er außer den landwirtschaftlichen Fahrten auf Felder und Wiesen oder zum Markt auch Transporte von Salz auf dem Goldenen Stieg. Dieser Salzweg von Passau nach Böhmen verläuft ganz in der Nähe. Denn sonst ist schwer zu klären, wie der kleine Jan aus der unteren Bevölkerungsschicht in ein Gymnasium in die Nachbarstadt Prachatice kommen konnte. Nämlich dass sein Vater Kontakt zu reichen Kaufleuten bekam und über sie erwirkte, dass sein Sohn zur Schule in Prachatice gehen konnte.


Das Geburtshaus des Jan Hus, heute ein Nationalmuseum

Jan Hus' Schulort Prachatice ist ein Nachbarort seines Heimatdorfes Husinec

Fuhrmannssohn unter Patriziersöhnen

Diese Stadt wurde durch den Salzhandel so reich, dass sie sich zwei Ringmauern leisten konnte. Hus erzählt später freimütig, er habe als Junge Priester werden wollen. Denn da bekäme man Geld und schöne Kleidung und wäre gut angesehen. Diese Aussage braucht man nicht weiter zu problematisieren. Sie ist der natürliche Ausdruck eines Jungen, der mit seinen Klassenkameraden aus reichen Familien ebenbürtig sein wollte. So wie heute jedes Mädchen, jeder Junge, unbedingt ein Mobiltelefon haben möchte, um mithalten zu können. Da Jan Hus aber nicht aus einer reichen Familie kam, konnte er das gewünschte gesellschaftliche Ansehen nur als Priester erreichen.


Schulgebäude (erweitert), in das Jan Hus ging

Unter seinen Lehrern müssen aber solche gewesen sein, die seine Begabung richtig erkannten und ihn auf die Universität nach Prag schickten. Seine Eltern scheinen das unterstützt zu haben. Denn er entfaltete sich dort ohne Heimweh, blühte auf und glänzte in einer akademischen Karriere. Zwischen 1387 und 1390 muss er wohl sein Studium begonnen haben. Im Jahre 1393 ist sein Abschluss als Baccalaureus der Artes liberales eingetragen; drei Jahre später wird er Magister der Artes liberales und ist damit zur Lehre befugt.

Zwei Reformatoren begegnen einander

Unermüdlich studierte Jan Hus weiter: als nächstes widmete er sich ab 1398 der Theologie. Schon im Rahmen dieses Studiums begegnete er den kirchenkritischen Werken des John Wyclif und trat 1399 mit einer Verteidigung von dessen Lehren hervor. Wyclifs Kritik am Gebaren der Kirche war in einigen Exemplaren seiner Werke nach Prag gekommen, so dass sie an der Universität zum Studium offen waren. Wyclif (1330-1384) ging als Reformator dem Jan Hus so voraus wie Hus dem Luther.


Eine Buchinitiale ist mit den Porträts von Wyclif, Hus und Luther verziert

Aber noch schadete ihm der Hinweis auf Wyclif nicht: Im Jahre 1400 wurde er zum Priester geweiht und wurde zugleich "Dispensator". Das bedeutete, er bekam das Recht, Privatvorlesungen zu halten. Im Jahre 1401 wurde er Dekan der Fakultät der Artes liberales. So weit seine nächsten Karrierestufen in der Universität. Parallel dazu schritt auch seine kirchliche Karriere voran: Im Jahre 1402 nahm er den Predigtdienst in der Bethlehems-Kapelle auf. Diese war schon 1391 von zwei Kaufleuten ausdrücklich dazu gegründet worden, dass dort auf Tschechisch gepredigt wurde. Er sprach pro Woche etwa vier Mal dort, so dass sich die Zahl seiner Predigten bis 1412 auf etwa 3.000 summierte! Der Saal, der heute der Technischen Hochschule zur Verfügung steht, fasste 3.000 Personen. Das entsprach einem Zehntel der Bevölkerung! Zur Aufgabe dieses Predigtdienstes kam 1403 auch noch die Ehre, dass Erzbischof Zbynko ihn zum Synodalprediger berief. In diesen wenigen Jahren wurde er auch zum Professor der philosophischen Fakultät berufen und konnte trotz all dieser beruflichen Belastungen 1404 auch noch das Fach Theologie mit einem Baccalaureus abschließen. Woher bekam Jan Hus all diese Energie? Wie fand er Zeit für die Königin als deren Seelsorger?


In der Bethlehems-Kapelle wurde schon im 14. Jahrhundert tschechisch gepredigt

Welches Ansehen Jan Hus genoss wird über all seine Beförderungen und Zusatzaufgaben hinaus noch deutlicher dadurch, dass er berufen wurde, nach Wilsnack in Brandenburg zu reisen, um ein Blutwunder auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Aber ab 1408 änderte sich sein Leben. Seine freimütigen Äußerungen zu Kirche und Theologie stimmten die Großbesitzer in der katholischen Kirche skeptisch. Erzbischof Zbynko – zunächst wie ein Freund des Jan Hus – setzte ihn als Synodalprediger ab und verbat ihm das Predigen überhaupt. Die Werke John Wyclifs sollten auf den Index kommen. Das konnte nur insoweit abgewendet werden, als die Universität unterstrich, sie müsse doch prüfen dürfen, was geschrieben werde. Nur der Öffentlichkeit könne man die Lektüre Wyclifs verbieten.

Riss durch die Universität

Aber diese Stimmung wurde auch nicht einhellig vertreten. Die "Nationen" der Sachsen, Bayern und Polen an der Universität waren so konservativ, dass sie Wyclif verketzerten und schließlich sogar eine Verbrennung seiner Schriften veranlassten. Demgegenüber waren die einheimischen Böhmen toleranter. Die beiden Gruppen stritten so heftig, dass der König eine Änderung des Stimmrechts an der Universität veranlasste. Bis dahin hatten alle Nationen je eine Stimme, die Konservativen zusammen also drei gegenüber den Böhmen mit einer Stimme. Nach dem Kuttenberger Dekret von 1410 hatten die Böhmen drei Stimmen und die anderen nur eine. Daraufhin verließen Sachsen, Bayern und Polen die Prager Universität, und in Sachsen wurde die Leipziger Universität gegründet.


Hus-Statue im Prager Universitätshof

Während dieser Unruhen wurde Jan Hus zum Rektor der verkleinerten Prager Universität gewählt. König Wenzel IV, der Hus zwar schätzte, zugleich aber vor der Katholischen Amtskirche und ihren Reaktionen auf Jan Hus Angst hatte, verjagte im Jahre 1411 Erzbischof Zbynko, der ein Feind Hus' geworden war, und beschlagnahmte all seine Güter. Das war möglich geworden, weil Sigismund, der Bruder Wenzels, deutscher König geworden war. Die Brüder gaben einander mehr Sicherheit in ihrer Politik.

Hus hält den "Dienstweg" zu Gott nicht ein

Dennoch spitzte sich die Lage für Jan Hus weiter zu. Die Kirche gab die Möglichkeit eines Ablasses. Hus kritisierte das genauso wie 105 Jahre später Martin Luther. Nun zog die Kirche ihre infamsten Register: Sie sprach einen Bann Jan Hus' aus und verfügte ein Interdikt über Stadt und Land. Das bedeutete, dass die Kirche keinerlei Amtshandlung mehr ausführte – keine Taufe, keine Trauung, keine Beerdigung, keine Messen. Hus in seiner Verzweiflung griff zu einem außergewöhnlichen Mittel. Er schrieb eine "Appellation an Christus" und hängte diese seine öffentliche Anrufung Christi im Brückenturm auf der Prager Kleinseite aus. Aber die Amtskirche rieb sich nur die Hände und sagte: "Ätsch, das war aber falsch, du kannst dich nicht selbst an Christus wenden, du hast den Dienstweg über deine Vorgesetzten nicht eingehalten!" Wieder ein Minus auf ihrer Anti-Hus-Liste.

Angesichts von so viel Unruhe bat König Wenzel Jan Hus, er möge sich doch zurückziehen. Das tat er und fand seinen Exilsort in der Ziegenburg in der Nähe von Tabor. Die Abgeschirmtheit auf dieser Burg nutzte er zum Schreiben von Briefen, Traktaten und zur Übersetzung von Bibelteilen ins Tschechische. Daneben ging er auch hinaus und predigte auf Marktplätzen, draußen vor Dörfern oder am Walde – so wie einst Johannes in der Wüste oder Christus auf seinen Wanderungen. Und das Volk liebte ihn.


Die Ziegenburg und ...

... Burg Krakovec sind die bekanntesten Zufluchtsorte

Letzte glückliche Station vor Abreise und Vernichtung

Im Jahre 1414 wechselte er auf die Burg Krakovec westlich von Prag. Sie gehörte der Familie von Lafany. Lefl Lafany war Mitglied des Kronrates – so hoch im Adel war man also kirchenkritisch eingestellt. Aber nicht nur kirchenkritisch. Dem Adel in Böhmen war stets bewusst, dass über 40 Prozent der nutzbaren Landflächen in Händen der Kirche waren!

In der Burg Krakovec wurde Jan Hus die Einladung zum Konzil in Konstanz überbracht. Am 11. Oktober verließ er Böhmen, Am 3. November traf er in Konstanz ein. Seine Freunde hatten ihn von vorneherein gewarnt. Er aber hörte nicht. Seine Reise durch Deutschland glich einem Triumphzug: In jeder Stadt, in der sein Tross Halt machte, jubelten ihm die Leute zu, und die Honoratioren der Stadt empfingen und bewirteten ihn. Woher hatten sie alle nur so gut gewusst, wen sie vor sich hatten? Hus aber ist durch diese unerwartete freundliche Reaktion möglicherweise bestärkt worden. Es kam aber auch hinzu, dass er vor Eintreffen der drei Päpste in Konstanz zu den Versammelten sprechen wollte, er war also etwas in Eile. Deshalb wartete er auch nicht den Geleitbrief König Sigismunds unterwegs noch ab.

Die Faust Roms schließt sich

Schon am 28. November wurde Hus abends vom Hause der Witwe, bei der er wohnte, von einer Delegation abgeholt. Tatsächlich aber war das seine Verhaftung, denn er wurde gleich in ein finsteres Verlies gebracht und gleich neben der Kloake angekettet. Im Laufe der verbliebenen Zeit kam Hus an zwei andere Orte, die aber alle ähnlich schäbig waren. Die Witwe Fida weinte, als er abgeholt wurde. Das wird von vielen Historikern milde und mehr anekdotisch erwähnt. Tatsächlich ist es viel mehr: Diese einfache Frau des Volkes durchschaute sofort die böse Absicht der Abholer, während dieser hochintelligente, lautere, freundliche Mensch Hus zu gutgläubig war! Die Witwe Fida veranschaulicht durch ihre Reaktion, wie skeptisch gegenüber der mächtigen Kirche die Menschen schon damals waren, nicht erst zur Zeit Luthers. Sie wussten nur nicht, wie sie sich wehren sollten, denn der Krake Kirche verfügte über alle Mittel und schreckte vor nichts zurück. Dass Hus auch hier so gutgläubig blieb, belegt nur den Satz "Ein Intellektueller kann sich alles vorstellen. Nur nicht, wie viel Angst ein dummer Mensch vor einem klugen Gedanken hat." (Esther Vilar?) Oder: "Der Grund aller Grausamkeit ist eine alles überwältigende Angst." (G. K. Chesterton?)


Das Haus der Witwe Fida in Konstanz, heute Hus-Museum

Hus bekam Gelegenheit, vor dem Konzil zu sprechen. Doch die Kirche dröhnte nur von Gebrüll, Gelächter und jeder anderen hässlichen Reaktion. Auch nachdem König Sigismund Ruhe verlangte, wurde es nicht wirklich besser. Man hatte Hus vorgeworfen, er sein ein Wyclif-Anhänger. John Wyclif war vom Konzil schon im Mai 1415 endgültig zum Ketzer erklärt worden. Nun, als intellektuell redlicher Mensch hatte Hus über ihn geschrieben und manche Punkte für gültig erklärt. Aber nicht alle! Er kam aber nicht damit durch, seine differenzierte Haltung zu Wyclif darzulegen. Am 6.7.1415 wurde Hus zum Ketzer erklärt und verbrannt. Seine Asche wurde in den See gestreut. Denn so sehr wusste die korrupte Kirche, wie das Volk Hus liebte und ihm anhing, dass sie annahm, es werde sonst zu seinem Grab wie zu einem Heiligen gepilgert werden! Das wollte sie verhindern.


Hus' Hinrichtung in Konstanz

Wer Hus nicht hören will, muss die Hussiten fühlen

Im Herbst 1415 traf in Konstanz ein Brief des böhmischen Adels mit 415 versiegelten Unterschriften ein. Es war der wutschnaubende Protest des Adels gegen die Frechheit und Unwürdigkeit des Konzils. Noch ein Jahr später, im Mai 1416 ließ das Konzil auch Hieronymus von Prag verbrennen, einen Freund Jan Hus'. Da die Kirche aber nicht rechtzeitig gehört hatte, musste sie von 1421-35 fühlen. Vor dem Volk hatte sie keine Angst. Aber dann vor den Hussiten, die Angst und Schrecken in vielen Städten bis hin nach Deutschland verbreiteten. Insbesondere in katholisch geprägten Städten wie Prachatice, Zittau, Bautzen, Leipzig, Nürnberg. Sie wurden Opfer der Rache und dienten dazu, dass an ihnen Exempel statuiert wurden. Die Hussiten waren militärisch so geschickt, dass selbst 5 Kreuzzüge (!) gegen sie nichts erreichten!


Streitwagen der Hussiten

Mit ihren Streitwagen konnten die Hussiten Wege sperren

Drei Orte in Deutschland, die Opfer von Hussiten-Überfällen wurden:




"Die Wahrheit wird siegen!" sagte und schrieb Jan Hus verschiedentlich. Das wurde zum Wahlspruch der Tschechischen Republik und steht als Motto auf der Präsidentenflagge. Doch die Böhmen – heute Tschechen – fanden danach nicht mehr zum Glauben zurück. "Wir sind das atheistischste Volk in Europa", sagte mir am Rande einer Weihnachtsfeier eine in Hamburg tätige tschechische Anwältin. "Warum?" – "Sie können der Kirche nicht verzeihen, dass sie ihnen den Hus genommen hat."

Hamburg, im Juli 2023

A Martin Steffe