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Osteopathie - Sanftes Heilen mit den Händen

Christoph Newiger
Edition Trias. Georg Thieme Verlag. 25,90 DM


Die Hand hat als Instrument noch nicht ausgedient

Eigentlich befassen sich Osteopathen mit nichts Anderem als Ärzte auch, nämlich mit dem menschlichen Körper. Ihre Tätigkeit kennt aber keinerlei Art von Medikamenten oder drakonische Lebensstiländerungen. Die Unverfänglichkeit ihrer Methode macht es wohl auch, daß Osteopathen von Ärzten durchaus empfohlen werden. Normalerweise haben sie ja Manschetten davor, einen Patienten an eine "para-"medizinische Person weiterzuempfehlen. Aber während Ärzte heute meistens nur noch "therapieren", können Osteopathen noch "behandeln". In der Tat haben die Osteopathen auch kein anderes Werkzeug, als was Ärzten zu Gebote steht, nämlich ihre Hände. Aber die haben sie zu wahren Seismographen entwickelt. Die Koryphäen der Medizingeschichte wie Galen, Averroes, Hippokrates und Paracelsus besaßen möglicherweise auch noch das Geschick der Osteopathen - von Natur aus. Weil sie noch keinen Computertomographen kannten, der heute fast wegen jeder Erkältung angeworfen wird. Mit Teilfertigkeiten sind gute Ärzte auch heute noch handaktiv, etwa wenn Pulmologen alleine durch Beklopfen feststellen können, ob ein Patient Tuberkulose hat. Demgegenüber muß man aber staunend anhören, wie praktizierende Ärzte heute auf Kongressen aufgefordert werden müssen, sich die Füße von Diabetikern anzuschauen oder das Knie von Rheumatikern anzufassen, ob es denn eine weiche oder harte, kalte oder harte Schwellung aufweise.

Kindstod durch Seuche gab den Anstoß

Der Name Osteopathie ist Geschichte. Dem amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still (1828-1917), der den Dingen weiter auf den Grund gehen wollte, erschien der Knochen das Gewebe zu sein, von dem aus sich weitere Störungen durch die anderen Körpergewebe fortpflanzten. Er kam schon bald zu anderen Ansichten, aber zu einer Namensänderung schien es ihm bereits zu spät. In der Tat verbreitete sich die Lehre der Osteopathie in den USA recht schnell, und einen Osteopathen zu Rate zu ziehen ist dort heute gar nichts besonderes mehr. Sogar das Militär stellt haufenweise Osteopathen an. Manche Krankenhäuser behandeln ausschließlich osteopathisch. Ein Osteopath ist also nicht lediglich eine andere Art von Chiropraktiker.

Ein Osteopath will vielmehr die Balancen im menschlichen Körper wiederherstellen. Still ruft in Erinnerung, daß der gesamte menschliche Körper auf Bewegung angelegt ist. Diesem Aspekt widmet er sich eingehend. Sogar die Nieren bewegen sich mit den Atemzügen etwa 6 cm auf- und abwärts. Sobald durch eine Einwirkung die Balance an einer Stelle unterbrochen oder gestört ist, zieht diese Dysbalance weitere nach sich. Beispielsweise reagieren Bauchmuskeln sofort mit Verspannungen, wenn die Wirbelsäule etwas verrenkt oder steif wird. Solchen Dysbalancen auf die Spur zu kommen, ist das erste Anliegen der Osteopathen. Sie beanspruchen gemäß Stills Theorie eigentlich gar nicht, Therapeuten zu sein, sondern sie wollen Dysbalancen erkennen und ihrer Therapie den Weg bahnen. Dazu gebrauchen sie den Vergleich: Wenn am Kai ein schwerer Kahn unangebunden liegt, und man gegen ihn tritt, rührt er sich nicht von der Stelle. Stemmt man sich aber beharrlich gegen ihn, so kann man die riesige Masse auf Dauer doch in Bewegung bringen. Anlaß zu Stills Analyse war eine Seuche in Kansas im Jahre 1863. Ihr fielen drei von Stills Kindern zum Opfer. Still war so verzweifelt, daß er die Medizin noch einmal von vorne zu lernen begann, um einer solchen verheerenden Noxe auf den Grund gehen zu können. Aufgrund seiner erneuten Analyse der Anatomie gelangte er 1864 zu seinem Konzept der Osteopathie. Die Selbstheilungskräfte des Menschen sind in diesem Konzept eine wichtige Teilvorstellung.

Medizintechnik schließt Heilung durch Berührung nicht aus

Nicht weniger als fünf Jahre benötigen Osteopathen zu ihrem Diplom. Meist bilden sich ausgebildete Krankengymnasten als Osteopathen weiter. Dann kennen sie die Anatomie und die entscheidenden Griffe so gut, daß man meint, man liege so transparent und verständlich vor ihnen wie ein plastizierter Mensch aus den "Körperwelten".

Das Buch Christoph Newigers über die Osteopathie ist das entscheidende Buch für jeden, der sich als Patient oder im Hinblick auf Erweiterungen des beruflichen Spektrums für Osteopathie interessiert. Auch Ärzte sollten dieses Buch zu Rate ziehen, denn von erfolgreichen Weiterempfehlungen an Osteopathen fällt auch Anerkennung auf sie zurück. Noch besser wäre, sie läsen es während des Studiums; denn sie könnten sich rechtzeitiger berufen fühlen, diese schöne und urmedizinische Behandlungsart in ihr Spektrum aufzunehmen. Ja, das ist das Faszinosum der Osteopathie, daß es inmitten aller verdienstvollen Medizintechnik oder hochentwickelten genetischen Pharmakologie dieses wunderbare Instrument der kundigen Hände gibt.

Newiger gibt einen guten Überblick über die Entstehungsgeschichte und stellt anhand vieler Krankheitsbilder das Charakteristische des osteopathischen Ansatzes vor. Das Buch bewahrt stets seinen ganz einfachen Stil. Dadurch kann es auch jedem Laien mit wenig Grundkenntnissen empfohlen werden, und dem Experten fällt es nicht schwer, das Buch rasch zu lesen. Erfreulich, daß dieser notwendige Zweig der Heilkunde so gut vermittelt wird.

A. Martin Steffe