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Alte Diät, neu entdeckt

Neue Erfolge mit der ketogenen Kost für epilepsiekranke Kinder und Jugendliche

Bei dem Wort „Diät“ dürfen sich Eltern in diesem Falle nicht vorstellen, dass es hier um eine gesundere Alternative ginge an Stelle von „Chemie“, wie vielfach reagiert wird. Die ketogene Diät ist ein Extrem, für das es in der Natur kein Vorbild gibt, und das man viel mehr wie ein Medikament ansehen sollte.

In der Tat wird die ketogene Kost wieder vermehrt vorgeschlagen in solchen Fällen, in denen keines der guten Antiepileptika wirkt und die Anfallszahl verringert und in denen auch eine Operation nicht in Frage kommt. Das sind in den meisten Fällen generalisierte Epilepsien im Unterschied zu den fokalen. Sie kommt also keineswegs für Epileptiker generell in Frage. Etwa 30 Prozent der Betroffenen sind mit Medikamenten nicht ausreichend therapierbar.

Als Möglichkeit zur Behandlung der medikamentenresistenten Epilepsie wurde die extrem fettreiche Kost (täglich 90% Fett) in den 20er Jahren an zwei Stellen in den USA geprüft. Während die Bibel schon im Evangelium des Matthäus streift, dass Epilepsie durch Fasten verringert werden kann, und epilepsiebelastete Mönche in den mittelalterlichen Klöstern beobachteten, dass sie während des Fastens weniger Anfälle hatten, so entdeckten Ärzte in Chicago und Rochester, dass unter dieser hohen Fettzufuhr dem Körper vorgetäuscht wird, dass er in einem Hungerzustand ist, so dass er wie beim tatsächlichen Fasten mit weniger Anfällen reagiert. Die ketogene Kost ist auch bei einigen sehr seltenen Stoffwechselstörungen angezeigt. Immerhin wird bei Epilepsien durch die extreme Kost in etwa 50% der Fälle eine völlige Anfallslosigkeit erzielt. Der Grund dafür kann aber noch nicht angegeben werden.

Dass sich das Wissen um diese Kost bei medikamentenresistenten Epilepsie wieder verbreitete ist in hohem Maße einem Regisseur zu danken, dessen kleiner Sohn von der Kost profitierte. Darüber drehte er einen Film mit Meryl Streep, der das Problem und die Chance der breiten Öffentlichkeit bekannt machte.

Und das ist der Grund, weshalb Eltern die Mühsal dieser Kost auf sich nehmen: „Wie oft sitzt man am Krankenbett seines von Anfällen geschüttelten Kindes und fühlt nichts als niederschmetternde Macht- und Hilflosigkeit? Das furchtbare Gefühl, nichts tun zu können, ist viel schwerer auszuhalten als die ketogene Diät“, berichtet eine Mutter.

Schwierig ist, dass die Nahrungsbestandteile bis hinter das Komma genau abgemessen und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Das ergibt oft kleine Portionen, mit denen das Kind rascher fertig ist als die anderen am Tisch. Es darf auch nicht das kleinste Bonbon zwischendurch naschen. Denn das wichtigste Ziel ist, dass ein genauer Ketonspiegel gewahrt wird, der die sichere Versorgung des Gehirns der Betroffenen aus dem Fett statt wie sonst aus der Glukose gewährleistet.

Die Kost ist so einseitig, dass Vitamine und Mineralien zusätzlich eingenommen werden müssen. Sonst könnten sich Nierensteine, Störung der Blutgerinnung, Störung der Herz-Erregungsleitung oder Sehstörungen einstellen. Die Krankenkassen allerdings freuen sich über die Entscheidung von Eltern zur ketogenen Diät, weil sich das um etwa 70% günstiger für sie rechnet als die medikamentöse Behandlung.

Das Buch der Psychologin Petra Platte und des Neuropädiaters Christoph Korenke bietet Betroffenen eine vollständige Anleitung an. Nicht nur werden Physiologie und Ernährung ausführlich erklärt. Auch Formulare, Berechnungsbeispiele, Rezepte und hilfreiche Adressen werden geboten. Im Text sind bereits viele Ratschläge der Eheberatung enthalten; denn es handelt sich schließlich um eine enorme Herausforderung der Eltern mit vielfachen Lernprozessen, was eine junge Familie über die Maßen belastet. Man kann nur wünschen, dass das Buch in die Hand jedes betroffenen Elternpaares gelangt, denn so wird ihm vieles vereinfacht.

A. Martin Steffe

Petra Platte, Christoph Korenke: Epilepsie – neue Chancen mit der ketogenen Diät. Stuttgart 2005 (Trias), ISBN 3-8304-3214-3