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Wenn Zurückhaltung zum Problem wird

Das Asperger-Syndrom zeigt sich bei Mädchen anders als bei Jungen

Ist das wirklich wahr? Gibt es in unserer Gesellschaft immer noch so viele dumme Leute, die auf ein bisschen harmlose Eigentümlichkeit nicht anders als heftig oder spöttisch reagieren können? Man glaubt es nicht, wenn man die Schilderungen von Betroffenen oder ihren Müttern liest. Müssen Asperger-Mädchen bei uns wirklich noch auf die Toilette fliehen, weil ihnen keine Chance zu einem für sie erträglicheren Maß an Sozialkontakten geboten wird als nur der volle Schulhof? Wieso spricht ein Asperger gegen die Tätigkeit einer Ärztin im Krankenhaus? Preißmann wusste eindrückliche Zeugnisse zu gewinnen, da sie als selbst Betroffene unter anderen ein besonderes Vertrauen genießt.

Die meisten Forschungsarbeiten veranschlagen das Verhältnis der Betroffenen zu 1 Mädchen auf 4 Jungen. Jüngere Arbeiten gehen immer noch von 1:2,5 aus. In jedem Falle ist von daher leicht vorstellbar, dass die Interpretationen und Therapievorschläge eher von der Problematik der Jungen geprägt sind. Während eine verstärkte Aggressivität bei Jungen unterstellt und akzeptiert wird, führt das für Mädchen zu der Erschwernis, dass deren verstärkte Zurückhaltung und Unsicherheit die wirkliche Betroffenheit tarnen, so dass ihnen später oder unentschlossener geholfen wird. Wenn ein Asperger bei Mädchen mit körperlichem Ungeschick einhergeht (oft erkennbar an schlechter Handschrift und Schreiben mit der Faust), wird daher auch zu spät mit Ergotherapie interveniert.

Die Betroffenheit von Mädchen fällt oft erst dann auf, wenn die Pubertät weibliche Eigenschaften vortreten lässt, die bei Asperger-Mädchen genau nicht verstärkt werden. Beispielsweise bleibt es für sie schwierig, Situationen hinsichtlich der Emotionen zu interpretieren. Da sie wie Asperger-Jungen sich mit Kommunikation schwer tun, überraschen sie die körperlichen Reifezeichen bedrohlich, anstatt dass sie in einen Austausch mit Altersgenossinnen kommen.

Was Asperger-Betroffene brauchen, lässt sich leicht lernen. Es lässt sich viel erreichen, wenn man mit ihnen Situationen, die sie stressen, vorbespricht und vorsimuliert. Vor allem wäre viel gewonnen, wenn man in aller Vorsicht frühzeitiger von einem Asperger ausgeht, weil man dann auch frühzeitiger spezifisch helfen kann. Kaum jemand sonst muss sich so mit Schauspiel oder Simulieren durchkämpfen wie Asperger-Mädchen.

A. Martin Steffe

Preißmann, Christine: Überraschend anders – Mädchen und Frauen mit Asperger. Stuttgart 2013 (Trias), 190 S., €19,99. ISBN 978-3-8304-6819-6