Gesundheit
Reisen & Kultur
Gästeführer
Impressum
Button-Link
 
 

Nicht nur Pilgerkirchen und Hochhäuser


In Poissy steht Le Corbusiers Villa Savoye dem Publikum offen

Im Jahre 1928 lud das Ehepaar Pierre und Eugénie Savoye den Architekten Le Corbusier ein, ihnen und ihrem Sohn Roger auf weithin freiem Gelände in Poissy ein Wochenendhaus zu bauen. Der Plan einer „Schachtel auf Pfählen“ sagte der Familie zu. Jedoch überstieg der erste Entwurf ihre finanziellen Möglichkeiten. Le Corbusier und sein Vetter Pierre Jeanneret unterbreiteten weitere Vorschläge. Es ist dann der fünfte Entwurf, der verwirklicht und 1931 abgeschlossen wird. Mit dieser Villa schließt Le Corbusier selbst auch seine Reihe der weißen Villen ab.

Schon nach dem ersten Winter mussten Abdichtungen und die Heizung nachgebessert werden. Auch für Winter in der milden Ile de France war der lichte Bau etwas zu großzügig angelegt.

Dunkle Zeiten für "Die hellen Stunden"

Nur bis 1940 konnte die Familie ungestört in der Villa wohnen, der sie den Namen „Die hellen Stunden“ gegeben hatten. Dann interessierten sich die deutschen Besatzer für das Haus, obwohl es gemäß der mikroskopischen Geschmackskompetenz der Nazis ihnen doch eigentlich „entartet“ vorkommen musste. Als sich das Blatt der Geschichte wendete, war plötzlich auch den Alliierten die Villa wichtig, doch seltsamerweise erlitt sie unter ihnen schwere Beschädigungen. Die unfreundliche Geschichte des freundlichen, heiteren Baus war damit noch nicht zu Ende. Im Jahre 1958 enteignete die Stadt Poissy die Familie Savoye ihrer Villa. Zunächst diente sie als Haus für die Jugend. Doch die Stadt selbst hatte kein wirkliches Interesse an dem Gebäude und wollte es zugunsten eines Gymnasium-Neubaus sogar abreißen lassen. Aber da wurden doch die Architekten der Region wach, und wollten die heruntergekommene Perle auch vor dem Verfall retten. Daraufhin überlegte Le Corbusier sogar, hier seine Stiftung einzurichten. Vier Jahre nach der Aneignung verkaufte die lustlose Stadt es an den Staat.

Das war die Wende. Denn dem damaligen Kulturminister André Malraux sei Dank wurde das Gebäude sofort unter Denkmalschutz gestellt. Drei Jahre später, 1965, wurde es sogar als Historisches Monument einklassifiziert. Zunächst wurden erhaltende Maßnahmen angeordnet, später sollte es eine gründliche Gesamtrestauration geben. Von 1985 bis 1992 (!) wurden zunächst die Fassaden und Terrassen restauriert. Ab 1997 wurden der Innenanstrich und die Elektrik erneuert, das Südparterre und der Hausmeisterpavillon restauriert. Hierbei legte der Auftraggeber eine englische Restaurationsgründlichkeit an den Tag: So weit bekannt, wurden die Originalfarben wiederhergestellt. Anhand von Fotodokumenten und Herstellerkatalogen konnten Decken- und Wandleuchten identisch nachgebaut werden. Auch der lange Lüster des Wohnzimmers wurde nachgezeichnet und aus verchromtem Falzblech nachgebaut. Heute erstrahlt das Gebäude wieder hell und freundlich in seinem kleinen Park zwischen hohen Bäumen und beschert der lieblosen Stadt an der Seine, die ansonsten nur wegen eines misslungenen Religionsgespräches zwischen Katholiken und Protestanten im Jahre 1561 bekannt ist, ein viel besuchtes, einzigartiges Architekturdenkmal.

Fünf neue Freiheiten werden verwirklicht

Le Corbusier beschreibt das Haus im Jahre 1930 in seinem Buch „Präzisionen über einen derzeitigen Stand der Architektur und des Städtebaus“. Ungeachtet der fünf Abänderungen verwirklicht er in dem Gebäude die „Fünf Punkte der modernen Architektur“, die er bereits 1927 formuliert hatte. „Durch eine richtige Anordnung gliedern die einfachen Pfosten des Erdgeschosses die Landschaft mit einer Gleichmäßigkeit, durch die jeder Begriff von ‚vor’ oder ‚hinter’ dem Haus oder ‚Seite’ des Hauses aufgehoben wird.“

Aus der Vorhalle führen sowohl eine Rampe als auch eine schön geschwungene Treppe in den ersten Stock. Die Glasschiebewände des Wohnzimmers öffnen sich zu den „hängenden Gärten“. Die Sonne gelangt überall ins Innere des Hauses. Die Westseite ist verglast, damit der Außenbereich zu jeder Jahreszeit nutzbar bleibt. Im Wohnzimmer diente dazu auch der freistehende Kamin.

Überall Licht

Die nunmehr außen verlaufende Rampe führt zum Sonnenbad, das von einer gebogenen Abschirmung geschützt wird. Nur eine Öffnung gibt den Blick auf das Seine-Tal frei, so als schaue man auf ein Gemälde. Die Wendeltreppe verbindet alle Geschosse, einschließlich des Kellers unterhalb des Pfahlwerks. Alle Zimmer verfügen über Wandschränke, meistens mit Aluminium-Schiebetüren, die unterhalb der langen Fenster verlaufen. Die Küche hat eine eigene kleine Terrasse. Das Gästezimmer ist wie das Wohnzimmer mit Parkett ausgelegt. Zum Badezimmer führen drei Türen, so dass es von allen Bewohnern aus ihren Zimmern erreicht werden kann. Beleuchtet wird es von einem Lichtschacht. Die Badewanne ist gemauert und mit kleinen blauen Fayencekacheln abgedeckt. Durch einen hohen Lichteinfall wird die Wäschekammer wie zu einem Wintergarten.

Im damaligen Dienstbotenzimmer werden heute Unterlagen über Entstehung und Restauration der Villa präsentiert. Das Pfahlwerk hat die Bewandtnis, dass der Garten unter dem Hause durchgeht und auf dem Dach fortsetzt. Stahlzement war die wichtige Voraussetzung sowohl für die Pfeiler als auch für die Verwirklichung des großen offenen Dachs. Unter der „Schachtel“ verläuft auch die Autoeinfahrt. In der Schleife liegen der Hauseingang, die Vorhalle, die Garage und die Nutzräume.

Ohne Übertreibung kann man heute wieder erkennen, dass es sich bei der Villa Savoye um ein Manifest der modernen Architektur zwischen den Weltkriegen handelt.

A. Martin Steffe